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Der Motor der Gesellschaft
prose [ ]

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by [ioana orleanu ]

2008-06-05  | [This text should be read in deutsch]    | 



DER MOTOR DER GESELLSCHAFT

Und das ist für den Hausherren ! Onkel Antons rötlich-rundes, naßgeschwitztes Gesicht erstrahlte in einem breiten Lächeln, seine Augen glänzten hinter der runden, schwarzen Hornbrille. Der Hausherr, Herr G., ein kleinwüchsiger, dicker Mann, betrachtete ungläubig die bernsteinfarbene Flasche, die Onkel Anton ihm mit herablassender Geste entgegenhielt. Aber so was !, murmelte er. Seine unförmigen Finger streichelten andächtig das Etiquette, auf dem mit goldenen Lettern Johnny Walker geschrieben stand, und seine Züge lösten sich in einem noch breiteren, strahlenderen Lächeln: Das wär' doch nicht nötig gewesen... Behutsam stellte er die Flasche auf dem Tisch. Wann hatte er zuletzt ein so kostbares Geschenk bekommen ? Nun, da konnte ich euch wohl eine Freude machen !, sagte Onkel Anton und setzte sich vergnügt hin. Während des ganzen, vierstündigen Mittagsmahls erzählte er ununterbrochen von seinem so aufregenden Leben in den „Staaten“, wiederholte sich ausgiebig und genoß die rhytmisch wiederkehrenden Achs und Ochs seiner ständig staunenden Gastgeber. Derweil thronte die Flasche, ungeöffnet, auf einem Ehrenplatz auf dem Tisch. Man kann von ihm halten, was man will, aber großzügig ist er schon, sagte Herr G. nachdem sein Besuch gegangen war. Seine Frau machte eine unbestimmte Kopfbewegung und antwortete nicht. Sie nahm die Flasche und verschloß sie in einem großen Wandschrank.
Ungefähr zwei Monate später ging Herr G. zum Arzt. Zunächst wand er sich, stammelte etwas von Erkältung, Schwindelgefühl und Bauchschmerzen, letztendlich aber sprudelte es aus ihm heraus: Er hätte einen unglaublichen Auftrag bekommen, eine alte Villa instandzusetzen, er - in seinem Alter !, und noch so gut bezahlt, das würde ihm für viele Monate aus der Klemme helfen, und wie !, leider könne er diese ganze schwere Arbeit nicht wie sonst nach Feierabend verrichten, es sei zu viel, und deshalb brauche er, ja, Urlaub, das heißt eine Krankschreibung, für mindestens sechs Wochen, geht das, Herr Doktor ? Seine Hand glitt in die schwarze Tragetasche, die er bei sich hatte. Langsam schob er dem Arzt die bersteinfarbene Flasche vor die Nase. Der Arzt lehnte sich in seinem Sessel zurück und kniff die Augen zusammen.
- Erst - eine Erkältung, das wären zehn Tage; dann ein Hausbesuch: Feststellung einer Bronchitis - zwei Wochen; danach noch ein Hausbesuch: Lungenentzündung - noch drei Wochen... Reicht das ?
- Ja, das heißt: ich will es hoffen.
- Ihr Zustand kann sich noch verschlechtern. Aber nicht allzu sehr, denn dann muß ich Sie in ein Krankenhaus einweisen und das ist nicht der Sinn der Sache, oder ?
- Nein, Herr Doktor, natürlich nicht.
- Die Hausbesuche werden Sie was kosten.
- Aber natürich, Herr Doktor, sehr gern... Und haben Sie vielen Dank. Sie können immer auf mich zählen. Wenn Sie jemals etwas brauchen, eine kleine Reparatur, was auch immer...
- Ja, ich komme vielleicht darauf zurück, sagte der Arzt und reichte ihm das Attest. Herr G. murmelte wieder Dankesworte und ging, unter kleinen Verbeugungen, zur Tür. Ein Stein war ihm vom Herzen gefallen.
Der Arzt blieb einige Augenblicke gedankenverloren in seinem Sessel sitzen. Dann erhob er sich ruckartig, ging zu einem kleinen Eisenschrank, der in einer Ecke stand und mit Schokoladentafeln, Zigarettenpackungen und allen möglichen Kaffeesorten vollgestopft war und öffnete ihn. Er warf einen prüfenden Blick hinein, zog bald dies, bald das hervor, überlegte und entschied sich schließlich für eine Pralinenpackung, die er zusammen mit der bernsteinfarbenen Flasche in einer besonders hübschen, auch seinem kleinen Eisenschränkchen entnommenen Papiertüte legte. Ich bin gleich zurück, rief er seiner Assistentin, die am Empfang Kreuzworträtsel löste, zu.
Eine Stunde später betrat der Arzt ein altes, staubiges Gebäude. Er schlengelte sich gekonnt durch die Menschenmassen, die in engen Gängen schwitzend vor geschlossenen Türen warteten, und steckte schließlich den Kopf durch eine schmale Tür. Na, haben Sie mich denn ein bißchen vermißt ? Er lächelte veschmitzt. Die Frau am Schreibtisch hob den Blick. Sie war sehr dick, ihr überquellendes Fleisch schien mit dem Stuhl, auf dem sie saß, verwachsen zu sein. Sie maß ihn mit kalten Augen von oben bis unten und sagte ohne jede Begeisterung: Ach, der Herr Doktor. Haben Sie endlich das Geld zusammen ? Der Arzt trat ein und stellte mit einer leichten Handbewegung die besonders hübsche Papiertüte auf ihrem Schreibtisch. Leider nein, antwortete er weiterlächelnd. Ich muß wieder um einen Aufschub bitten. Die Frau nahm die Tüte, warf einen kurzen Blick hinein und stellte sie auf dem Fußboden, direkt neben dem Schreibtisch. Verdient ihr Ärzte heutzutage nicht mehr so gut oder verplempert ihr euer ganzes Geld? Ihre sehr roten Lippen skizzierten ein Lächeln, ihre Stimme klang aber sehr spitz. Die Kollegen im Krankenhaus verdienen eine ganze Menge, aber wir, am Stadtrand... Und das Leben ist so teuer geworden ! Die Frau schaute ihn etwas verächtlich an. Ich weiß, Herr Doktor, ich weiß... Aber schauen Sie mal, Sie haben seit fünf Monaten die Beiträge nicht mehr gezahlt. Und es geht nicht nur um Ihre Rente, sondern auch um die Ihrer Mitarbeiterinnen. Der Arzt blickte betreten auf seine abgetragenen Schuhspitzen. Wo wird das alles nur enden ?, fragte er und seine Stimme schwang in einem tiefmelancholischen Unterton. Nächstes Mal müssen Sie zumindest einen Monatsbeitrag entrichten. Bitte, Herr Doktor. Der Arzt nickte liebenswürdigst. Ja, bestimmt. Sie reichte ihm ihre kleine, weiche Hand und er küßte sie – ganz Kavalier alter Schule. Dann verschwand er schnell.
Die Frau seufzte, bückte sich, nahm die Pralinenpackung aus der Tüte und öffnete sie mit einem zufriedenem Lächeln. Ein verschüchterter Kopf drängte sich plötzlich durch den Türspalt. Jetzt nicht, sagte die Frau scharf. Der Kopf verschwand augenblicklich. Sie begann genüßlich eine Praline nach der anderen zu verschlingen.
Die bersteinfarbene Flasche aber präsentierte sie am Abend stolz ihrem Sohn.
- Dein Mathe-Durchschnitt ist gerettet.
- Z. läßt niemals jemanden sitzen, entgegnete ihr sechzehnjähriger Sohn trocken.
- Sicher ist sicher, antwortete seine Mutter.
Am übernächsten Tag machte sie sich auf dem Weg zur Schule. Z., rotblond und trotz eines Bauchansatzes immer noch jugendlich aussehend - er hatte etwas von einem "ewigen Studenten" - hörte ihr geduldig zu. Sie überflutete ihn mit Worten. Sicher, ihr Sohn sei in letzter Zeit etwas schwierig gewesen und jene vermaledeite Geschichte mit dem geklauten Handy hätte ihr schon graue Haare wachsen lassen, nur sie wisse, was es sie gekostet hätte, das Ganze im Sand verlaufen zu lassen, nun ja, falsche Freunde, eine schlechte Gesellschaft, das hätte ihn auf die schiefe Bahn gebracht, Gott, wie sie gelitten habe, nun sei es aber vorbei, der Sohn wieder auf dem richtigen Weg; es stimme, er sei nicht besonders arbeitsam, aber begabt, begabt sei er wirklich !, intelligent, schnell von Begriff, er boxe sich durch, wenn er wolle, könne er es weit bringen, einem solchen Jungen verbaut man doch nicht die Zukunft, nicht wahr, Herr Lehrer ?
- Er muß sich aber auch ein bißchen Mühe geben, warf Z. zaghaft ein.
- Oh, das wird er, das wird er!
- Er hat auch sehr viele Fehlstunden. Und bei der letzten Klausur ist er gar nicht erst erschienen.
- Das wird nicht mehr passieren. Wirklich, Herr Lehrer. Ich werde schon dafür sorgen.
- Gut, murmelte Z. etwas mürrisch. Das Gesicht der Frau erhellte sich: Danke, Herr Lehrer, danke. Flink stellte sie die bernsteinfarbene Flasche auf seinem Pult. Z. skizzierte eine überraschte Abwehrbewegung: Nein, das will ich nicht....
- Doch, Herr Lehrer, das müssen Sie annehmen. Als Zeichen meiner Dankbarkeit. Bitte! Z. zögerte einen Augenblick. Sie drückte ihm die Hand und verließ mit einer für ihr Körpergewicht erstaunlichen Schnelligkeit das Zimmer. Z. schaute ihr etwas verduzt nach, seufzte und griff zum Telefon. Ich habe das passende Geschenk, sagte er mit sanfter Stimme zu seiner Frau. Gut, antwortete jene bestimmt. Die Mädels müssen alle ihren Nachmittagsschlaf halten. Sag' ihnen, daß sie sonst nicht mitdürfen. Und du holst mich um fünf ab... Wie du meinst, erwiderte Z. langsam.
Am Abend erschienen sie vollzählig aber mit einstündiger Verspätung (sie waren wegen der Kleinsten, die nicht wachzukriegen gewesen, zu spät abgefahren, der Verkehr hatte dann das Übrige getan, entschuldigten sie sich formhabler) bei A., Z.s ehemaligem Schulfreund. Sie hatten sich seit Jahrzehnten aus den Augen verloren und zufällig jetzt, nach A.s Rückkehr aus dem Ausland, wiedergetroffen. Z.s Frau bewertete diese Bekanntschaft als möglicherweise nützlich: Man weiß ja nie, hatte sie, die Sache auf dem Punkt bringend, gesagt und so Z. veranlaßt, die alten Bande wiederzubeleben.
- Was für ein kleiner Hof, entfuhr es ihm, als er A. die bernsteinfarbene Flasche und dessen Frau den obligaten Blumenstrauß in die Hand drückte. Du weißt, ich trinke nicht, erwiderte A. Er drehte sich zu seiner Frau und übergab ihr die Flasche: Das ist also auch für dich.
Sind alle Zimmer so klein ?, fragte Zs. Frau, als sie das Haus betraten. A.s Frau lächelte etwas verlegen, überlegte, wie groß die Wohnungen in den Wohnsilos am Stadtrand, wo Z.s wohnten, jetzt wohl sein dürften und erklärte dann, daß das Schlafzimmer wesentlich breiter sei. Komische Architektur, entgegnete Zs. Frau. Hier könntet ihr nicht Hochzeit feiern, antwortete A. mit einem feinen Lächeln. Weißt du, erklärte er seiner Frau, Z. und Micaela haben ihre Hochzeit in der Villa ihres Mentors gefeiert... Ach so, nickte seine Frau.
Die Töchter setzten sich unter dem strengen Blick ihrer Mutter eine nach der anderen auf das so kleine Sofa und nippten brav an ihrer Limonade. Die vier Erwachsenen versuchten sich in Konversation. Z.s Frau bekannte sofort, ein christlich-orthodoxes Leben zu führen (was sie darunter verstand, erläuterte sie nicht) und verkündete, Moral sei außerhalb der Religion nicht möglich. Dann betrachtete sie die erotischen Zeichnungen, die an den Wänden hingen. Ziemlich krankhaft, so eine Phantasie, sagte sie, indem sie einen zutiefst mißbilligenden Blick um sich warf. Es sind die Werke meines Mannes, erwiderte A.s Frau leise. Micaela schien sie aber nicht gehört zu haben, denn sie erzählte detailgenau wie angeekelt sie in Paris, beim Besuch des Musée Rodin, gewesen sei. All' jene Geschmacklosigkeiten, mir wurde richtig schlecht, Gott sei Dank war dort auch ein Amerikaner, er war genau so angewidert wie ich, ja, es stand ihm richtig ins Gesicht geschrieben, unsere Augen trafen sich und wir nickten uns verständnisvoll zu...
- Ich glaube nicht, daß es auch nur einen Mann auf der weiten Welt gibt, den Nackheit und Erotik anwidern - es sei denn, er wäre wirklich krank. A.s Frau lächelte, aber die Ironie in ihrer Stimme war jetzt nicht mehr zu überhören. Micaela warf ihrem Mann einen hilfesuchenden Blick zu, der lächelte aber auch und schwieg. Man wandte sich nun literarischen Themen zu. Sie waren fast immer verschiedener Meinung, die A.s auf der einen, die Z.s auf der anderen Seite der Barrikade, bemühten sich aber aufgesuchte Höflichkeit an den Tag zu legen. Eine kleine religiöse Frage schied aber die Geister vollends: Jesus habe den Feigenbaum verflucht, weil dieser innerlich verdorrt und unfruchtbar gewesen, bekräftigten die Z.s mit Nachdruck. Das könne nicht stimmen, entgegnete A.s Frau, der Feigenbaum trüge keine Früchte, weil einfach noch keine Feigenzeit sei, man lese das nur bei Markus nach ! Jesu habe den Feigenbaum verflucht, weil er auch ein Narzißt gewesen sei, sagte A. Ein Narzißt ?, rief Z. Aber das ist doch etwas Böses !, entrüstete sich seine Frau. Wie kannst du nur so etwas sagen ? A.s Frau lächelte unbeirrt. Damit ihr es besser versteht: Ich bin Atheist, ich darf also frei denken, fügte A. trocken hinzu. Ach so !... Na, dann !... Betretenes Schweigen trat ein. Man servierte den Kuchen.
Meine Frau ist ein sehr anspruchsvoller Mensch, flüsterte Z. beim Abschied A. ins Ohr. Aber ich denke, die erste Prüfung ist doch bestanden...
Haben wir sie etwa eingeladen, um 'Prüfungen zu bestehen' ?, schimpfte A.s Frau, nachdem der Besuch, den sie besonders liebenswürdig verabschiedet hatte, endlich gegangen war. Und überhaubt, was sollte diese Invasion ? Zu siebt hier zu erscheinen ! Wollen sie, daß wir etwa die Patenschaft für eine ihrer Töchter übernehmen ? A. starrte nachdenklich vor sich hin. Furchtbar zurückgeblieben, murmelte er letztendlich. Man kann mit ihnen nicht reden... Ach, hol' sie doch der Teufel, rief seine Frau. Ihr Blick fiel auf die bernsteinfarbene Flasche. So ein albernes Geschenk !, schrie sie wütend. Ich werde sie einfach wegschmeißen. Ihr Mann hielt sie zurück. Verschenk' sie lieber !, warf er, auf einmal amüsiert, ein.
Am nächsten Morgen wurde als erstes die bernsteinfarbene Flasche Dora, der Putzfrau, übergeben. Diese konnte ihr Glück gar nicht fassen. Den ganzen Tag dachte sie nur an die Überraschung, die sie damit ihrem Mann bereiten würde. Sie vergaß darüber sogar ihre totkranke Schwester, die sie bei sich zu Hause pflegte, weil der Schwager, ein unverbesserlicher Trinker, sie nicht nur geschlagen, sondern auch vor die Tür gesetzt hatte. Es ging zu Ende mit ihr. Man hatte schon den Popen gerufen, aber während er ihr die letzte Ölung gab, hatte die Kranke plötzlich die Augen geöffnet und erschrocken geschrieen. Jetzt wachte man Tag und Nacht bei ihr, um ja nicht ihre letzten Atemzüge abzupassen und ihr unbedingt die brennende Kerze in die Hand drücken. Denn nur dann konnte man sicher sein, daß ihre Seele auch in den Himmel kommen würde. Wär' ja schön, wenn wir diesen Augenblich versäumen würden ! Dann wär' die ganze Müh' umsonst gewesen, hatte Dora zu ihrer kleinen Schwester gesagt. Vielleicht hätten wir sie zurück aus's Land bringen sollen, hatte jene weinend geantwortet. Die Seelen lösen sich leichter, wenn sie zu Hause sind... Vielleicht solltest du weniger weinen, du hälst sie damit nur zurück, hatte Dora entgegnet.
Jetzt, in der überfüllten U-Bahn, in der sie, müde, hin- und hergeschaukelt wurde, tanzten nur zwei Bilder: brennende Kerze-bernsteinfarbene Flasche vor ihren Augen. Sie war beinahe eingeschlafen, als sie plötzlich eine leichte Bewegung unter ihrem Arm verspürte. Sie drehte sich mühsam um. Die kompakte Masse der Fahrgäste umzingelte sie wie eine Mauer. Aber in drei Meter Entfernung sah ein ziemlich verwahrlostes Kind sie mit frechen Augen an. Dann bemerkte sie den geöffneten Reißverschluß ihrer Handtasche. Sie wollte sich freimachen, um Hilfe rufen, aber die U-Bahn hielt an und der unbarmherzige Sog der Aussteigenden riß sie, unter Beschimpfungen, denn sie widersetzte sich, mit sich fort. Unversehens fand sie sich auf dem Bahnsteig wieder. Die U-Bahn fuhr ab. Und Dora war es, als ob sie im Bruchteil einer Sekunde, die frechen, jetzt lachenden Kinderaugen noch einmal sah. Verwirrt setzte sie sich auf eine Bank. Nicht nur ihr Geld, auch der Ausweis war weg. Kreidebleich sprang sie auf und rannte die Treppe hoch. Die Plastiktüte mit der bernsteinfarbenen Flasche vergaß sie unter der Bank.
Aus der Dunkelheit des U-Bahn-Schachtes löste sich eine schmuddelige, zitternde Gestalt. Der alte Mann ging, so schnell er konnte, zur Bank, bückte sich mühsam und griff nach der Plastiktüte. Oh, du meine Güte !, entfuhr es ihm, als er die Flasche in der Hand hielt. Er blickte mit einem schrägen Blick um sich, versteckte sie unter seinem Mantel und schlich hinaus. Im benachbarten Park machte er’s sich neben einem Baum gemütlich. Die Nacht brach langsam ein und die Sterne funkelten so wunderbar. Der alte Mann lächelte zufrieden, als er die Flasche zum Mund führte. Was ist denn das?, schrie er aber nach einem Augenblick. Ein widerlich-ätzender Geschmack, eine Mischung wie aus Kamillentee und Chemikalien brannte in seinem Rachen. Er keuchte, spuckte, fluchte. Schweinehunde, Arschlöcher, schrie er in die Nacht. Dann warf er die Flasche, so weit er nur konnte, weg. Seine Hände begannen noch stärker zu zittern, Schweiß trat ihm auf der Stirn. Was mach’ ich jetzt ?, stammelte er. Was mach’ ich jetzt ? Mit dem Blick eines gehetzten Tieres verschwand er in den dunklen Gassen.
Gegen Mitternacht ertönten Kinderstimmen in dem sonst menschenleeren Park. Eine Kinderschar, unter einer Laterne versammelt, beobachtete einen etwa dreizehnjährigen Knaben, der mit ernstem Gesicht Geldscheine im Empfang nahm und sie sorgfältig zählte. Sie sahen alle müde, hungrig und furchbar verwahrlost aus. Ab und zu fluchte der eine, der andere teilte Fußtritte aus. Schaut mal her, was ich gefunden habe, rief ein kleiner Junge, der abseits, im Gebüsch, einen Schlafplatz gesucht hatte. Triumphierend hielt er die schöne, schlanke Flasche hoch. Der Älteste eilte sofort herbei und begutachtete mit Kennerblick das Etiquette. Sucht den Stöpsel, befahlt er den anderen. Wir brauchen den Stöpsel...

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Am nächsten Morgen ragte die bernsteinfarbene Flasche auf einem Stand, in einer belebten Gasse, aus einem Haufen angeblich waschechter Lewis-Jeans hervor. Sie leuchtete warm in den verspielten Strahlen der Morgensonne. Ein dicklicher Herr mit rötlich-rundem Gesicht blieb vor dem Stand stehen. Als er die Flasche sah, erstrahlten seine Augen hinter der eckigen, schwarzen Hornbrille. Wieviel ?, fragte er den Verkäufer. Sieben Euro, antwortete dieser. Was für ein Schnäppchen !, dachte der Herr. Du spinnst ja wohl !, sagte er mit lauter Stimme. Das ist bestimmt geklaute Ware. Vier Euro sind mehr als genug. Und sei froh, daß ich nicht gleich die Polzei rufe, schloß er streng, nahm die bernsteinfarbene Flasche und ging zufrieden seines Weges.

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