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Heul Doch
prose [ ]
Teil 1

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by [word2go ]

2004-03-16  | [This text should be read in deutsch]    | 



1

Philip setzte die Kaffeetasse ab, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete das ÖlgemĂ€lde ĂŒber dem FrĂŒhstĂŒckstisch. Die noch feuchte Farbe schimmerte und er hatte den Eindruck, dass er sich darin spiegeln könnte, wĂŒrde er nur nahe genug an das Bild herantreten. Sie war tatsĂ€chlich eine grandiose Malerin, das war ihm klar, auch wenn er sonst von Kunst nicht gerade viel Ahnung hatte. Er rĂ€tselte welcher Kunstrichtung dieses kleine Meisterwerk, sein kleines Meisterwerk seit sie es ihm geschenkt hatte, entsprach, kam aber nicht darauf. Das Bild stellte im Grunde nichts dar. Keine Zeichnung, nur verschwenderisch arrangierte Farben in satten Rot- und Gelbtönen, an den Ecken mit einer Prise mintgrĂŒn verziert. Obwohl, eine gewisse Symmetrie war vorhanden. Dicke orange Balken umrahmten gegen den Uhrzeigersinn laufend ein rotes Viereck, das wiederum ein gelbes Viereck einschloss. Innerhalb dieses gelben Vierecks tanzten hinter beigen GitterstĂ€ben verschiedenartige Muster in blau und grĂŒn. Das Bild war einfach nur schön. ‚Und das schönste ist, dass sie es gemalt hat’, dachte er, wĂ€hrend er mit dem Kaffeelöffel Butter auf seinem FrĂŒhstĂŒcksbrötchen verstrich. Diese Unart hatte er schon seit er denken konnte. Stets zu faul, um sich vor dem FrĂŒhstĂŒck ein komplettes Set an den Tisch zu holen, begnĂŒgte er sich mit dem Kaffeelöffel als Messer und der BrötchentĂŒte als Teller.
Er hatte Jana vor vier Wochen kennen gelernt und dann ging alles richtig schnell. Seit drei Wochen bereits hatte er nicht mehr allein geschlafen und er wollte verdammt sein, sollte er noch eine einzige Nacht von dieser Frau getrennt sein. Sie war unbeschreiblich chaotisch, nein, sie war das personifizierte Chaos. Immer in Action und stets kreativ verwandelte sie seinen eintönigen Alltag in die Hölle und den Himmel auf Erden. Sie machte den Eindruck, als hĂ€tte sie mit dieser ganzen Energie nur auf ihn gewartet, um ihn nun damit zu ĂŒberschĂŒtten, hinfort zu reißen und zu ĂŒberwĂ€ltigen. Und er war ĂŒberwĂ€ltigt, hingerissen, ja fast phlegmatisch. Er genoss es einfach, da zu sitzen und sie zu beobachten, unfĂ€hig seine Aufmerksamkeit auch nur eine Sekunde von ihr zu nehmen, ertrunken im Sog ihrer Weiblichkeit. Und er fĂŒhlte sich als Autist, der langsam das Interesse verlor, mit der Welt da draußen zu kommunizieren. Es zĂ€hlte nur noch sie. Und was konnte einen Menschen mehr befriedigen? Klar, Robert hat schon vor ein paar Tagen auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ob er denn im Bermudadreieck verschollen sei, weil er sich nicht mehr melde?
‚Ja, ein Dreieck war es schon’, lĂ€chelte Philip in sich hinein, stopfte sich den letzten Rest des Brötchens in den Mund und schenkte sich noch einen Schluck Kaffee ein. Dann blĂ€tterte er auf Seite zwei der Tageszeitung um. Die mochte ihm heute nicht so richtig schmecken. O.K., wer sich die ganze Nacht im Liebesspiel durch die Kissen gerobbt hat, will am Morgen danach nicht unbedingt wissen, wie viele Opfer das letzte Erdbeben im Iran oder das feige, von gar nicht so GlĂ€ubigen inszenierte, Selbstmordattentat im Irak gefordert haben. Und Daniel KĂŒblböcks Genickschleudertrauma nach einem Unfall, nach einer Fahrt ohne FĂŒhrerschein, nach einer beispiellosen Nicht-Karriere, die durch eine grottige Talentsuchshow hervorgerufen wurde, interessierte doch, außer vielleicht Daniel KĂŒblböck selbst, sowieso kein Schwein.
Philip schlug die Zeitung wieder zu und ĂŒberlegte, ob er Robert nicht doch anrufen solle, um einen Diskoabend klar zu machen. Immerhin hatten sich sein bester Kumpel und Jana bis jetzt noch nicht kennen gelernt, also wurde es langsam wirklich Zeit. Freitag Abend konnte man ins Atomic Cafe. Obwohl, da wĂ€re es möglicherweise eng und ĂŒberfĂŒllt vor lauter pseudointellektuellen, total hippen Trendsettern - also den Spießern von morgen. Bleiben noch das Backstage und die Alabamahalle. Komasaufen ist wegen Jana nicht drin, also Backstage. Er griff zum Telefon, welches neben der Orangensaftpackung lag und wĂ€hlte Roberts Nummer. Der hatte sich wohl einen ISDN-Anschluss legen lassen und sah Philips Nummer auf der Anzeige, denn nach zweimal lĂ€uten meldete sich Robert ĂŒberschwĂ€nglich: „Hey alter Sack, wo hast Du gesteckt? Hab’ schon gedacht, du kommst gar nicht mehr runter von der neuen Tussi.“
Robert war noch nie fĂŒr seine dezente Art bekannt gewesen. Philip ĂŒberlegte kurz, ob es nicht doch besser wĂ€re, die beiden erst spĂ€ter einander vorzustellen, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Jana war wahrscheinlich von Roberts direkter Art sogar begeistert und er hĂ€tte riskiert Robert vor den Kopf zu stoßen. Philip versuchte unverfĂ€nglich zu wirken: „Ja, ich hatte die letzten Tage nicht ganz soviel Zeit. Du weißt ja, frisch verliebt und so.“ Er tat sich wirklich schwer mit seinem Kumpel ĂŒber seine Beziehung zu reden. „Brauchst mir nichts erzĂ€hlen, kann mir das schon vorstellen“, lenkte Robert sofort ein, „ich finde es nur schade, dass du, jetzt wo du mal ein paar Tage frei hast von der Redaktion, die ganze Zeit mit diesem MĂ€dchen abhĂ€ngst. Wir könnten doch mal wieder richtig auf den Putz hauen.“
Die Redaktion, wie sie Robert nannte, war eigentlich eine ungeheuerliche Übertreibung. Philip schrieb eine Kolumne fĂŒr ein mehr oder weniger bekanntes Internetportal fĂŒr Markensportartikel. Anfangs wollten die Macher des Portals eigentlich nur ihren tristen Onlineshop mit ein paar witzigen Zeilen aufpeppen. Als sie dann gemerkt hatten, dass ausgerechnet Philips „Alltagsansichten eines Sportschuhs“ mehr Besucher auf die Seite zogen, als die Sonderangebote, hatten sie ihm angeboten, den gesamten redaktionellen Teil des Portals zu ĂŒbernehmen, Aktualisierungen inbegriffen. Begeistert von der Aussicht, unmittelbar nach dem Studium eine so verantwortungsvolle Stelle zu bekommen, hatte Philip natĂŒrlich sofort zugesagt. Und auch wenn 3000€ Anfangsgehalt zwar nicht sensationell, aber fĂŒr den Anfang doch ganz befriedigend klangen, hatte sich bald ErnĂŒchterung eingestellt. Der technische Support erwies sich nĂ€mlich als ‚Rund und die Uhr irgend einen Kleinkram reparier’- Job. StĂ€ndig irgendein Skript, das nicht richtig funktionierte, irgendein Bild, das nicht hochgeladen wurde, irgendein Link, der lediglich in die Weiten der eigenen Festplatte reichte. Philip, der Kommunikationswissenschaften und Philosophie studiert und sich nur bedingt fĂŒr Computer interessiert hatte, war bald heillos ĂŒberfordert und das ‚Learning by doing’ nach der regulĂ€ren Arbeitszeit wirkte sich verheerend sowohl auf Freizeitmenge, wie auf deren Gestaltungsmöglichkeiten aus. ‚Plumbs’ - ins Bett fallen – Ende. Der natĂŒrlich unbezahlte Urlaub war Rettung in letzter Minute.
„Ich wollte sowieso, dass du Jana mal kennen lernst. Wie wĂ€r’s wenn wir heute Abend erst mal einen Cocktail trinken gehen und danach ins Backstage?“ „Backstage klingt gut“, gab Robert zurĂŒck, „aber Cocktail trinken wird mir zu teuer. Ich habe doch wegen der Magisterarbeit den Nebenjob geschmissen, um mehr Zeit zu haben. DafĂŒr hab’ ich jetzt weniger Geld.“ Richtig, Philip hatte vergessen, dass Robert momentan voll im Stress war und kurz vor der Abgabe seiner Abschlussarbeit stand. „Gut, dann wĂŒrde ich sagen, wir sind so um halb elf bei dir. Ich bring noch eine paar Bierchen mit zum VorglĂŒhen.“
Ohne Roberts Antwort abzuwarten, hatte Philip bereits aufgelegt. Robert hĂ€tte sowieso zugesagt. Er kannte ja seinen Kumpel. Er wunderte sich, dass er, obwohl sich die beiden nun schon seit Beginn des Studiums kannten - und das waren nun schon fast sieben Jahre - sich noch immer nicht mir Robert ĂŒber seine GefĂŒhle unterhalten konnte, wenn er verliebt war. Das war wohl typisch mĂ€nnlich, denn anders herum wĂ€re es ihm auch nicht aufgefallen, dass Robert einmal von sich aus auf dieses Thema zu sprechen gekommen wĂ€re. Über ‚heißes Becken’, ‚geile Titten’ und ‚gut zu vögeln’ ist bis jetzt noch keine Diskussion ĂŒber die jeweiligen LiebesaffĂ€ren hinausgekommen. Und dabei hatte Sonja, die beste Freundin von Philips Ex Marion, wirklich alles ĂŒber ihn gewusst. Angefangen von der LĂ€nge, Breite und Form seines Penis, bis ĂŒber seine empfindliche Kniekehle hatten die beiden MĂ€dels alles breitgetreten, was in seinem Sexleben passierte. Sogar Einzelheiten hatte Marion erzĂ€hlt. Damals, als sie ihn mit der Hand befriedigt und ihm aus Versehen einen dicken Spermafaden ins Auge geschossen hatte. Oder er beim Kommen gefurzt hatte.
Beides veranlasste Marion jeweils zu minutenlangen Lachtiraden, und als wĂ€re das noch nicht peinlich genug, verheimlichte sie ihm auch nicht, dass sie mit solchen Geschichten brĂŒhwarm zu ihrer besten Freundin lief. Sie konnte ĂŒberhaupt nicht glauben, dass solche GesprĂ€che zwischen ihm und Robert nicht stattfanden. Am Schluss konnte Philipp Sonja schon fast nicht mehr in die Augen sehen vor lauter Scham. Irgendwie scheint Frauen das gewisse ‚VerstĂ€ndnis-Gen’ fĂŒr die Geheimnisse der MĂ€nner zu fehlen. Philip kam die Idee, dass ein MĂ€nner-Ratgeber fĂŒr Frauen ziemlich lukrativ sein könnte. Irgendetwas in der Art von ‚Wie erhalte ich das Selbstvertrauen meines Mannes’, oder so. Nachdem was Philip bei „Sex & the City“ gesehen hat, sind anscheinend alle modernen Frauen geheimnismordende Bestien.
MĂ€nner dagegen reden nicht mit anderen MĂ€nnern, als wĂ€ren sie bei intimen Momenten mit dabei. MĂ€nner sprechen ĂŒber Frauen im Allgemeinen oder Frauen, die nicht erreichbar sind, so wie Jennifer Lopez. Aber Philip hat noch nie jemand sagen hören, dass die Muschi seiner Freundin so wunderbar weich wĂ€re, dass er am liebsten seinen Mund mit Sekundenkleber da unten befestigen wĂŒrde. Einem Mann klingt das viel zu sehr nach: „willst du auch mal?“ Und erst recht hatte vor ihm noch nie ein Mann zugegeben, dass seine Freundin beim Geschlechtsverkehr gefurzt hĂ€tte. Nein, Philip war sich sicher! Es gibt Sachen, die mĂŒssen mit niemandem geteilt werden.
Philip ĂŒberlegte, ob er sich noch ein Brötchen streichen sollte, bevor Jana aufstand. Auf eine seltsame Weise hatte er in den letzten Tagen einen stĂ€ndigen Heißhunger entwickelt. Er nahm noch einen Schluck Orangensaft und entschloss sich dann erst einmal unter die Dusche zu gehen und zu riskieren, dass das Rauschen Jana aufwecken könnte. Immerhin war es schon halb zwölf, da konnte die kleine LangschlĂ€ferin ruhig einmal aufstehen. Auf dem Weg ins Bad blieb er an der SchlafzimmertĂŒr stehen und beobachtete die Schlafende durch den TĂŒrspalt. Ihre rötlich braunen Locken lagen wild ĂŒber das Kopfkissen verstreut. Philip erinnerte sich, dass er Jana vor ein paar Tagen fast beleidigt hatte, als er scherzhaft meinte, ihre Haarpracht sei eine Mischung aus Pudel und Meduse. Ein gedehntes „ist das sooooo?“, hatte er zur Antwort bekommen.
Es war der erste Moment, in dem er merkte, dass Jana auch anders sein konnte als fröhlich. Nicht, dass diese Bemerkung sein Bild, das er sich von ihr gemacht hatte zerstörte, aber Philip hatte gespĂŒrt, dass ein Streit mit Jana keineswegs so glimpflich ablaufen wĂŒrde, wie mit frĂŒheren Freundinnen. Philip war es nicht gewohnt zu streiten und hatte Angst vor der ersten wirklichen Auseinandersetzung mit Jana. Dabei hatte er damit doch nur gemeint, dass er ihre Locken ungeheuer sĂŒĂŸ findet, dass sie ihren Charakter unterstreichen: wild, chaotisch, zum Knuddeln und gleichzeitig mĂ€nnermordend. Mann, er wĂŒrde sich ĂŒber ein so phantasievolles Kompliment freuen. Jana bewegt sich leicht im Schlaf, drehte sich von der Bauchlage auf die Seite und gewĂ€hrte Philip einen kurzen Blick auf ihren zarten RĂŒcken, bevor sie ihn mit einer fahrigen Bewegung wieder unter der Bettdecke verschwinden ließ. Philip widerstand dem kurzen Anflug von Begierde, löste sich aus dem TĂŒrrahmen und ging ins Badezimmer.


Robert lehnte missmutig an der Bar. Er hatte definitiv genug. Genug vom Alkohol und genug von seinem besten Freund Philip und dessen Schnepfe Jana. Mann, der Typ hatte echt Nerven. LĂ€sst wochenlang nichts mehr von sich hören und kommt dann mit so einer KĂŒnstlertante daher. ‚Hallo ich bin die Jana und ich steh total auf Rizzi’, Ă€ffte Robert sie in Gedanken nach. Den ganzen Abend hatte er vielleicht zehn SĂ€tze mit Philip wechseln können, den Rest der Zeit hing dieser an den Lippen des rothaarigen Monsters. Was fand Philip nur an dieser pseudo-alternativen Braut. Irgendwie erinnerte ihn Jana an die frĂŒhen 90er, als Nirvana und Pearl Jam die Welt eroberten und die MĂ€dels, ganz im Grungelook, anstatt Schminke ins Gesicht, sorgfĂ€ltig arrangierten Dreck unter den FingernĂ€geln trugen. ‚Anders’ zu sein, war damals Trend, doch anders als all die Anderen konnte Robert diesem depressiven, verheulten und jammernden Mainstream nichts abgewinnen. Er sah sich selbst als Macher, als handelnden Menschen, den niemand so schnell unterkriegen konnte.
Mit Kunst und Kultur hatte er nichts am Hut. Das war schon eher etwas fĂŒr Philip, den vertrĂ€umten Schöngeist, der eigentlich ein verkappter Schriftsteller und Poet war. Journalist zu sein, so viel wusste Robert, war fĂŒr Philip nur die sicherere Variante, seine Passion zum Beruf zu machen. Etwas anderes als Schreiben passte auch nicht zu Philip. Eines Abends hatte er Robert einmal erklĂ€rt, dass der Stift seine ‚Waffe’ sei, die einzige die er habe. Anders als Robert habe er kein ökonomisches Geschick, keine Energie und die Ausdauer mit Menschen zu verhandeln. Er wĂ€re kein Taktiker. Nein, dass einzige was er habe, sei sein wacher Geist und sein Talent, Menschen mittels geschriebener Worte in andere Welten zu versetzen. „Einem Buch widerspricht man nicht“, hatte Philip gesagt. Robert war damals hin- und hergerissen zwischen Ekel und Mitleid ob so eines geringen SelbstwertgefĂŒhls.
Jana riss ihn aus seinen Gedanken. „Meinst Du, Du könntest mir noch eine Cola bestellen?“, stand sie plötzlich vor ihm. Robert suchte mit einem Blick die TanzflĂ€che nach Philip ab, konnte ihn aber nirgends entdecken. „Ne Cola?“, wiederholte Robert dĂŒmmlich, „dass Du mir davon ja keinen Rausch bekommst.“ „Den hab’ ich heute Dir ĂŒberlassen“, konterte sie, „wahrscheinlich gibt es sowieso keinen Tropfen Alkohol mehr, nachdem Du so einen Durst entwickelt hast.“
‚Bingo’, die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Immerhin war sie schlagfertig. Robert drehte sich zu Barkeeper um und orderte eine Cola. Er musste Philip unbedingt dazu bringen, dieses Gör wieder fallen zu lassen. Und er hatte da schon so eine Idee. „Sag mal, wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt, Du und Philip?“ Gespannt wartete Robert, wie Jana auf diese Offerte zu einem etwas netteren GesprĂ€ch reagierte. „Wie bitte?“, fragte Jana lauter, neigte sich etwas nach vorne und bewegte die Hand zum Ohr, als ob sie wegen der lauten Musik schlecht verstanden hĂ€tte. „Ich wollte fragen, wie ...“ Jana stupste ihn an, um ihm zu zeigen, dass der Barkeeper die Cola bezahlt haben wollte und drĂŒckte ihm drei Euro in die Hand. „Danke“, schnappte sie schnell, drehte sich um und war auch schon im GewĂŒhl der TanzflĂ€che verschwunden.
Robert stand da wie vom Blitz getroffen. So respektlos hatte ihn schon lange niemand mehr abserviert. Logisch, er hatte ziemlich viel getrunken und war deswegen vielleicht nicht mehr der angenehmste GesprĂ€chspartner. Aber dem besten Kumpels des Freundes so unhöflich zu begegnen war schon eine ausgesprochene Frechheit. Er nahm sich vor, es dieser blöden Tussi zu zeigen und Philip wieder zur mĂ€nnlichen Freiheit zu verhelfen. Nach ein paar Wochen Liebeskummer wĂŒrde selbst Philip merken, dass er auf so Eine ruhig verzichten kann und er wĂŒrde Robert aus tiefstem Herzen dankbar sein, dass er ihn von ihr befreite. Laut schlĂŒrfend saugte er den Rest seines Cuba libre aus dem Glas, sah noch einmal ĂŒber die TanzflĂ€che, erspĂ€hte Philip und Jana in inniger Umarmung an der Wand lehnen, hatte jedoch keine Lust mehr sich zu verabschieden und machte sich auf den Weg zum Ausgang.
Es war eine relativ kĂŒhle Sommernacht und Robert bereute, dass er keine Jacke mitgenommen hatte. Wenigstens erfrischte ihn die kalte Luft, klĂ€rte sein Gehirn und lichtete den Nebel, den der Alkohol wie einen Schleier ĂŒber seine Augen gelegt hatte. Er musste einen Weg finden, wie er Philip und Jana auseinanderbringen konnte, ohne dass Philip von seiner Intrige Wind bekam. Leicht fröstelnd stand Robert an der Hauptstrasse und wartete auf ein Taxi, welches er heranwinken konnte. WĂ€re es wĂ€rmer gewesen, hĂ€tte er sich vielleicht den Spaß gegönnt, zu Fuß nach Hause zu gehen. Das war zwar ein relativ langer Marsch, doch er liebte MĂŒnchen bei Nacht: die stillen Schatten zwischen den GebĂ€uden, die ersten Vögel, die den nahenden Morgen begrĂŒĂŸen. Nur nachts wird die tagsĂŒber so geschĂ€ftige Stadt wirklich friedlich und bietet Raum fĂŒr Entspannung. FĂŒr den sonst so realistischen und tatkrĂ€ftigen Robert waren nĂ€chtliche SpaziergĂ€nge ein kostbar romantisches Element seines Lebens. Nach zehn endlosen Minuten nahte endlich ein freies Taxi. Robert winkte es heran, stieg ein und nannte dem Fahrer seine Adresse.


Mit einer solchen Reaktion seines Kumpels hatte Philip nicht gerechnet. Jana war Robert so augenscheinlich unsympathisch, dass man die Abneigung, die in der Luft hing, fast körperlich spĂŒren konnte. Den ganzen Abend hatte sich Robert an der Bar herumgedrĂŒckt und keine Anstalten gemacht, sich ins GesprĂ€ch einzubringen oder wenigstens einmal auf die TanzflĂ€che zu gehen. Statt dessen hatte er sich darauf beschrĂ€nkt, im stummen Trotz einen Longdrink nach dem anderen zu vernichten und dĂ€mliche Grimassen zu schneiden. Philip war diese Seite an Robert bisher nicht, oder nur nebenbei, aufgefallen. Robert wirkte eigentlich immer souverĂ€n und Herr seiner Sinne. Gelegentlich kam es vor, dass er mit seiner oft arrogant wirkenden Art aneckte. Doch der trotzige RĂŒckzug in sich selbst, den Robert heute an den Tag gelegt hatte, konnte Philip beim besten Willen nicht verstehen. Er musste zugeben, dass ihn Roberts Verhalten leicht sĂ€uerlich machte. Ja, er war sogar ein wenig beleidigt. Er hatte ihm immerhin nichts getan.
Jana schien die dĂŒsteren Gedanken hinter seinen Augen zu bemerken. „Alles o.k. mit Dir?“, erkundigte sie sich und strich ihm liebevoll eine blonde HaarstrĂ€hne aus dem Gesicht. „Hmmh“, brummte Philip nur und kĂŒsste sie auf die Stirn, „bin nur ein bisschen mĂŒde, das ist alles.“ „Tut mir leid, dass der Abend nicht so gelaufen ist, wie Du Dir das vorgestellt hast. Aber vielleicht hat Dein Freund einfach nur einen schlechten Tag erwischt?“ Philip blickte in ihre grĂŒnen Augen. Ihr MitgefĂŒhl war absolut ernst gemeint. Er konnte ihr auch schlecht irgendwelche VorwĂŒrfe machen. Etwa, dass sie Robert geschnitten oder ihn zu sehr abgeschirmt hĂ€tte. Trotzdem wollte er zumindest ein wenig wĂŒtend auf sie sein. Denn egal, aus welchem Grund Robert heute so komisch unterwegs war, sie war auf jeden Fall der Auslöser. „Warum lehnt er Dich nur so kategorisch ab?“ Die Frage war eher rhetorisch, denn an Jana gerichtet. Philips Blick streifte durch den sich langsam leerenden Raum. Ein paar wenige GĂ€ste standen noch verstreut umher, die Musik hatte bereits KonversationslautstĂ€rke. Bald wĂŒrde einer der TĂŒrsteher kommen und sie bitten, die Diskothek zu verlassen. Philip sah auf seine Uhr. Es war bereits zehn nach fĂŒnf, die ersten Busse und U-Bahnen fuhren also schon wieder. Robert war bestimmt mit dem Taxi nach Hause gefahren. Es wurmte ihn gewaltig, dass er es nicht fĂŒr nötig gehalten hatte, sich wenigstens zu verabschieden.
„Er ist wahrscheinlich einfach nur ein wenig eifersĂŒchtig, weil sein bester Kumpel nun in festen HĂ€nden ist, wĂ€hrend er die Richtige noch nicht gefunden hat.“ Wie selbstverstĂ€ndlich sie annahm, dass sie die Richtige fĂŒr ihn sei. Er blinzelte sie verliebt und gleichzeitig traurig an. Durch das Tanzen und Schwitzen war ihre Schminke ein wenig verwischt und im Winkel ihres rechten Auges sammelte sich Kayal. Sie sah aus wie eine verruchte Madonna. Philip versuchte, sie sich mit dem typischen, blauen Marien-Schleier und einem Kind auf dem Arm vorzustellen, Ă€hnlich wie im Madonna-Video „Like a Virgin“. Er legte ihr zĂ€rtlich seine linke Hand auf die Wange und strich mit dem Daumen die Wimperntusche aus dem Auge. LĂ€chelnd blickte Jana auf. „Jetzt bin ich bestimmt total verschmiert oder? Philip konnte nicht leugnen, dass er mit seiner Aktion ihr Erscheinungsbild durchaus nicht zum Besseren geĂ€ndert hatte und nickte. „Zuhause spiele ich Deinen Maskenbildner und schminke Dich ab. Versprochen!“ „Oh, ich glaube da fĂ€llt mir etwas besseres ein“, blitzte sie ihn an und strich mit der Hand verfĂŒhrerisch ĂŒber seine Brust. FĂŒr diesen Moment war Robert in die Nebel der Vergessenheit entschwunden.

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